Embattled Nature: Men and Landscapes on the Eastern Front of World War I

Embattled Nature: Men and Landscapes on the Eastern Front of World War I

Organisatoren
Kerstin Susanne Jobst, Institut für Osteuropäische Geschichte, Universität Wien; Kerstin von Lingen, Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien
PLZ
1010
Ort
Wien
Land
Austria
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
09.03.2023 - 10.03.2023
Von
Benedikt Stimmer, Institut für Osteuropäische Geschichte, Universität Wien

Im Umfeld des an der Universität Wien und der Staatlichen Pädagogischen Universität Jaroslawl angesiedelten internationalen Kooperationsprojektes zu Konfliktlandschaften des Ersten Weltkrieges (Military Landscapes of the Great War)1 setzte sich die von Kerstin Susanne Jobst und Kerstin von Lingen (beide Wien) organisierte Tagung das Ziel, den osteuropäischen Kriegsschauplatz jenseits traditioneller militärgeschichtlicher Zugänge in einem umweltgeschichtlichen Kontext zu verorten. Besondere Aufmerksamkeit galt den ruins of empire am Beispiel Galiziens, das als Raum intensiver kriegerischer Auseinandersetzungen im Sinne einer imperial debris2 aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und so gleichsam neu vermessen wurde. Die Theoreme des spatial turn sowie der environmental history gaben dabei den grundlegenden konzeptuellen Rahmen für die inhaltliche Auseinandersetzung vor.

NICHOLAS SAUNDERS (Bristol) thematisierte in seinem Eröffnungsvortrag das für die weitere Tagung zentrale Konzept der Konfliktlandschaft (conflict landscape)3 am Beispiel der Arabischen Revolte an der Peripherie des Osmanischen Reiches. Obgleich die Ereignisse der Jahre 1916 bis 1918 in unterschiedlichen Erinnerungskulturen, die von den mystifizierten Darstellungen in T.E. Lawrences Seven Pillars of Wisdom bis zur touristischen Ausschlachtung im modernen Saudi-Arabien reichen, thematisiert würden, gebe es kaum Erinnerung an die Wüste selbst. Mittels einer Verknüpfung anthropologischer und archäologischer Zugänge ließen sich hingegen unterschiedliche Konfliktlinien freilegen, die sich als direkte Überlappungen in den Raum eingeschrieben haben. So wurde das osmanische Projekt der Hedschasbahn, die dem Sultan eine stärkere Kontrolle über das beanspruchte Gebiet sichern sollte, bereits vor Beginn des Ersten Weltkrieges von den Beduinen als Angriff auf ihre traditionelle Karawanentätigkeit bekämpft – ein Konflikt, der später durch britische Unterstützung erneut aufflammte und unterschiedliche Artefakte sowie Überreste von oft mehrfach genutzten Lagerstätten und Befestigungen in der Landschaft hinterließ.

Eine stärkere Untergliederung der Konfliktlandschaft in separate Analysekategorien nahm CHRISTOPH NÜBEL (Potsdam) in seinem Vortrag zum „Unternehmen Alberich“ vor, das im März 1917 an der Westfront die systematische Zerstörung eines gesamten Landstriches für taktische Zwecke vorsah. Die Dimension dieser Zerstörung wurde von einzelnen Soldaten nicht nur malerisch, sondern auch fotografisch festgehalten und das Leid einer anthropomorphisierten „Natur“ von beiden Seiten propagandistisch nutzbar gemacht. Insbesondere die systematische Entwaldung thematisierte im Anschluss auch GUSTAVO CORNI (Trento) am Beispiel des Trentino, das bereits vor Kriegsausbruch durch die infrastrukturelle Erschließung in Form von Festungsbauten, der Errichtung von Eisenbahnlinien sowie der Verlegung eines dichten Telefonkabelnetzes zu einer Konfliktlandschaft transformiert wurde. DAVID NOVOTNY (Wien) fokussierte sich demgegenüber noch stärker auf den individuellen Blick „von unten“, indem er anhand von Tagebüchern und Briefen einfacher Soldaten und Zivilist:innen aus dem Umfeld der Belagerung von Przemyśl ab Herbst 1914 unterschiedliche Bewältigungspraktiken hinsichtlich der Auswirkungen des Krieges auf den (sozialen) Raum und die Lebenswelten der Akteur:innen analysierte. Neben dem Quellenwert von Tagebüchern und Fotos wurde in der anschließenden Diskussion vor allem nach der agency der „Natur“ und langfristigen Wirkungen ihrer bewussten Zerstörung bis in die Gegenwart gefragt.

Mit Selbstzeugnissen zu Galizien arbeitete auch WOLFRAM DORNIK (Graz), der die zweite Sektion mit einem Vortrag zu Raumimaginationen an der Ostfront eingesetzter deutschsprachiger Soldaten eröffnete. Anhand von Gemälden und Zeichnungen, Fotos und Ego-Dokumenten betonte er die unterschiedlichen Raumwahrnehmungen etwa von Artilleristen und Infanteristen und verwies insbesondere auf Vorstellungen eines vermeintlich rückständigen Ostens, die als mental maps in ihre Darstellungen miteinflossen. Dieses Einschreiben kultureller Vorstellungen spielte auch bei ALEXANDRA LIKHACHEVA (Jaroslawl), die sich mit dem russischen Blick anhand von privat angefertigten und offiziell-propagandistischen Fotografien auseinandersetzte, eine wichtige Rolle. Galizienbilder schwankten hierbei zwischen einer Idealisierung des „slawischen“ (Natur-)Raums und einer Zurschaustellung der vom Kriegsgegner verursachten Zerstörung. ELISABETH HAID-LENER (Wien) erweiterte diese Perspektive noch um einen vergleichenden Zugang, indem sie die galizische(n) Landschafte(n) als Objekt sowohl der russländischen wie der österreichisch-ungarischen Propaganda untersuchte und dabei zwischen idealisierten peace landscapes und belligerent landscapes als umkämpftem Raum unterschied. Diese Konstruktion von Raumwahrnehmungen war gemeinsam mit der Frage nach dem sozialen Hintergrund der Fotographen, Korrespondenten und Textproduzent:innen sowie deren „Innenleben“ Thema einer breiten Diskussion.

Eine „Unterwerfung“ des Raums vor dem Hintergrund eines neuen Verhältnisses zwischen Mensch und Umwelt bildete das Rahmenthema der dritten Sektion, in der STEPHAN LEHNSTAEDT (Berlin) zunächst „von oben“ auf das seit 1915 von deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen besetzte Polen blickte und die statistische Erfassung des kontrollierten Gebiets thematisierte. Unter eigenen Behörden entstand eine detaillierte Datenbasis zu Bevölkerung, ökonomischen Kapazitäten und Kriegsschäden, deren Erfassung von pragmatischen Erwägungen bestimmt war, später aber durchaus für politische Zwecke nutzbar gemacht werden konnte. Über die ökonomisch-militärische Ausbeutung von Ressourcen sprach auch YAROSLAV GOLUBINOV (Samara), der die Nutzung der Ölförderanlagen in Galizien und Rumänien in den Kontext einer neuen Einstellung zum „Kampfraum“ (combat space) einbettete. Neben naturräumlichen Gegebenheiten wurden auch Industrieanlagen zunehmend an ihrem rein militärischen Nutzen gemessen und bei Bedarf im Sinne einer Strategie der „verbrannten Erde“ (scorched earth) zerstört. Die Inbrandsetzung von Ölquellen sei dabei als Symptom einer Totalisierung des Krieges zu werten, die sukzessive die gesamte menschengemachte wie „natürliche“ Umgebung der Schaffung eines solchen combat space unterwarf. OKSANA NAGORNAYA (Jaroslawl) ordnete diese Militarisierung von Umwelt und Terrain in einen noch breiteren Kontext ein und betonte vor allem die Imagination einer feindlichen Natur, die den kämpfenden Armeen „tote Hindernisse“ wie Flüsse und Wälder in den Weg stellte. Der Erste Weltkrieg, so der Tenor der Diskussion, sei als erster Konflikt zu verstehen, in den die „Natur“ in so erheblichem Ausmaß miteinbezogen wurde, gerade auch hinsichtlich ihrer bewussten Zerstörung.

Diese Totalisierung betonte auch TAIT KELLER (Memphis), der die Dichotomie zwischen Kriegs- und Friedenslandschaften (war and peace landscapes) infragestellte. So hätten die eigentlich dauerhaften und hinsichtlich des Kriegsverlaufs entscheidenden Umweltveränderungen fernab der Front und mitunter gar auf anderen Kontinenten stattgefunden. Veränderungen im Bereich der landwirtschaftlichen Produktion, massive Rodungen und die forcierte Ölförderung in den Amerikas infolge des hohen Ressourcenbedarfs unterstrichen so die globale umweltgeschichtliche Bedeutung des Krieges. Umweltveränderungen als „giftiges Erbe“ (toxic heritage) untersuchte YULIA ZHERDEVA (Samara) am Beispiel der Bestattungspraktiken der russischen Armee sowie anhand der Auswirkungen des Giftgaseinsatzes auf Boden und Pflanzenwelt. Insbesondere die Instruktionen für die Durchführung von Massenbestattungen ließen sich dabei als Reaktion auf Änderungen in der Kriegsführung wie auch sich verändernde Hygienepraktiken lesen. KAMIL RUSZAŁA (Kraków) knüpfte seinerseits an unterschiedliche methodische Zugriffe an, indem er sich auf die Aufarbeitung von Kriegsschäden in Galizien ab 1916 konzentrierte. Als weithin sichtbare Monumente in der zerstörten Landschaft stellten architektonisch neu konzipierte Soldatengräber ein spätes „imperiales Projekt“ der Habsburgermonarchie dar, deren nationale Umdeutung zu Grabstätten polnischer Soldaten nach 1918 ihren politisch-ideologischen Symbolgehalt verdeutlichte. Vor allem die religiöse Komponente, die bei den Soldatenfriedhöfen häufig im Hintergrund gehalten wurde, war im Anschluss Thema der Diskussion.

Mit Hygienemaßnahmen aus historischer wie gegenwärtiger Perspektive beschäftigte sich die letzte Sektion, wobei ANDREA RENDL (Wien) zunächst die österreichisch-ungarische Gesundheitspolitik an der Ostfront anhand von Impfpraktiken untersuchte. Als große epidemiologische Gefahr war die Cholera bereits 1914 erkannt und eine entsprechende Impfung genehmigt worden, die tatsächliche Umsetzung präventiver Schritte blieb jedoch bis 1916 Thema intensiver Diskussionen. Der Konnotationswandel von einer die Kampfkraft der Armee beeinträchtigenden Maßnahme hin zur sinnvollen Hygienepraktik könne dabei als Lernprozess vor dem Hintergrund epidemiologischer Erfahrungen verstanden werden. Demgegenüber sprachen JÓZEF ŻYCHOWSKI und PAWEŁ STRUŚ (Kraków) im letzten Vortrag über die chemischen Wirkungen von Soldatengräbern auf die Beschaffenheit des Bodens und insbesondere des Grundwassers. Die bis heute nachweisbare und mitunter gesundheitlich problematische Konzentration chemischer Elemente hänge dabei stark von der Bodenstruktur, der Lage und der Art der Soldatenfriedhöfe ab. Anlass zur Diskussion gab vor allem die theoretische Möglichkeit, bislang unbekannte Massengräber mittels Grundwasseranalysen zu lokalisieren.

Die Tagung fügte sich mit ihrer Themensetzung in die aktuelle Anthropozän-Debatte ein, wobei der Erste Weltkrieg am Beispiel des osteuropäischen Kriegsschauplatzes als Zäsur im Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt betrachtet wurde. Dem politischen Epochenbruch des „Großen Krieges“ entsprach offenkundig seine Funktion als Katalysator für eine weitreichende Transformation von Wissenspraktiken und massive, global wirksame Eingriffe in Landschaft und Umwelt. Ausstehend ist indes neben einer Schärfung der Charakteristika der Kriegslandschaft(en) „Osteuropas“ vielfach noch die unmittelbare lokale Perspektive auf diese Eingriffe, mithin die Selbstverortung der Menschen in der „Natur“. Wie die Abschlussdiskussion deutlich machte, bedarf zudem die oftmals unklare Rede von der „Landschaft“ (landscape), die ästhetische, geographische und politische Konnotationen in sich vereint, einer präziseren Begriffsklärung, was in noch größerer Dringlichkeit auch für den Raumbegriff als solchen gilt. Insgesamt eröffnet die perspektivische Erweiterung hin zu umweltgeschichtlichen Fragestellungen jedoch neue Möglichkeiten, Entwicklungen in der longue durée zu betrachten, und ein neues Forschungsfeld, in dem die Verbindung von Multiperspektivität und Multidisziplinarität zu einer unabdingbaren Grundvoraussetzung avanciert.

Konferenzübersicht:

Eröffnungsvortrag
Moderation: Kerstin Susanne Jobst (Wien)

Nicholas Saunders (Bristol): Conflict Landscapes at the Edge of Empire: Archaeology of a Desert Insurgency – The Arab Revolt, 1916–18

Sektion 1: Environment as the Battlefield: Rivers, Mountains and Forests in Military Strategies
Moderation: Klaus Gestwa (Tübingen)

Christoph Nübel (Potsdam): Scorched Earth. “Unternehmen Alberich” as a Case Study for WW1 Warscapes Analysis

Gustavo Corni (Trento): Transformation of the Landscape: The War Logistics on the Plateau of Lavarone and Folgaria at the Border between Austria-Hungary and Italy

David Novotny (Wien): City, Forts and the San – Przemysl, 1914–15: Contemporary Perception of the Fortified City

Kommentar: Kerstin von Lingen (Wien)

Sektion 2: Belligerent Landscapes of WWI in Individual Narratives and Propaganda
Moderation: Hannes Leidinger (Wien)

Wolfram Dornik (Graz): Space and Environment in Individual Testimonies of German-Speaking Soldiers of the Habsburg Army, 1914–18

Alexandra Likhacheva (Jaroslawl): Galicia’s Landscapes of the First World War in the Prism of the Photographic Camera: Visualisation of the Belligerent Spaces

Elisabeth Haid-Lener (Wien): Galician Landscapes as an Element of Austrian and Russian War Propaganda

Kommentar: Oksana Nagornaya (Jaroslawl)

Sektion 3: Occupied Landscapes of the Eastern Front: Owning and Managing the Enemy Space
Moderation: Wolfgang Müller (Wien)

Stephan Lehnstaedt (Berlin): Know What You Occupy: The Surveying of Poland by the Central Powers

Yaroslav Golubinov (Samara): Oil as a Resource and Element of Defence: The Cases of Galicia 1915 and Romania 1916

Oksana Nagornaya (Jaroslawl): Occupied Landscapes and Environmental Transformation on the Eastern Front of the First World War

Kommentar: Daniel Marc Segesser (Bern)

Sektion 4: Imperial Debris: Toxic War Estate and Demilitarisation of Landscapes in the Era of Revolutions and Imperial Collapse
Moderation: Tanja Penter (Heidelberg)

Tait Keller (Memphis): The Environmental Costs of Imperial Collapse: War Lands on the Eastern Front

Yulia Zherdeva (Samara): Toxic Heritage of the War: Demilitarisation of Eastern Front Landscapes

Kamil Ruszała (Kraków): Monuments Between the Ruins: The Landscape of Galicia after the Battle

Kommentar: Tamara Scheer (Wien / Rom)

Sektion 5: Hospitals and Burials: Medicine at War
Moderation: Christa Hämmerle (Wien)

Andrea Rendl (Wien): “Dangerous Experiment“ vs. “Great Blessing“: Vaccination and Healthcare Narratives of the Imperial and Royal Army at the Eastern Front (1914–1916)

Józef Żychowski, Paweł Struś (Kraków): The Impact of World War I Cemeteries on the Concentration of Elements in the Soil of these Cemeteries Located in South-Eastern Poland

Kommentar: Claudia Theune (Wien)

Abschlussdiskussion: Spatial Turn and Environmental History in the Era of Anthropocene. Research of the WWI: New Approaches and Sources

Anmerkungen:
1 Great War and Anthropocene. Empire and Environment in Eastern Europe, in: https://konfliktlandschaften-galizien.univie.ac.at/ (12.03.2023).
2 Ann Laura Stoler (Hrsg.), Imperial Debris. On Ruins and Ruination, Durham 2013.
3 Nicholas J. Saunders / Paul Cornish (Hrsg.), Conflict Landscapes. Materiality and Meaning in Contested Places, London 2021.

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